Sonntag, 1. April 2012

Mein Leben als Eindringling


Interessant, was man als kinderloser Mittvierziger, der normalerweise tagsüber arbeiten muss, auf seine alten Tage noch so alles lernen kann. Mir war klar, dass Frauen sich in den vergangenen Jahrzehnten ihre Freiräume erkämpft haben, teils gegen erheblichen Widerstand: Es gibt Frauenhäuser, Frauenparkplätze, Frauenbeauftragte, Frauensaunen, Frauenschwimmen im Hallenbad und so weiter. Einzig Frauenbuchläden scheinen mir in letzter Zeit ein wenig auf dem absteigenden Ast zu sein. Nicht klar jedoch war mir, dass es, abhängig von der Tageszeit, noch eine ganze Reihe weiterer Frauenrefugien gibt, in die man als Mann besser nicht seinen Fuß setzt, will man nicht von akuten Kastrationsängsten befallen werden.

(via picfront.org)
Vor einiger Zeit führte ein dienstlicher Termin einen Arbeitskollegen und mich in die Innenstadt. Da es früher Vormittag war, unsere Rückkehr ins Büro noch etwas warten konnte und wir beide ein leichtes Hungergefühl verspürten, kamen wir auf die Idee, uns in einem Bistro das recht günstige Frühstücksbuffet zu genehmigen. Das war ein Fehler. Ich habe mich selten so deplatziert gefühlt. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Laden, den ich abends zwecks essen und trinken eigentlich schätze, vormittags eine Mischung aus Hühnerstall, Proseccobar und Kindertagesstätte ist. Außer uns beiden war nur noch der Barkeeper männlichen Geschlechts. Sein Benehmen und seine Art zu reden aber legten den Verdacht nahe, dass er in intimeren Dingen eher das eigene Geschlecht bevorzugte. Kurz: Indem wir das Lokal betraten, stieg der Testosteronspiegel im Raum um nahezu hundert Prozent. Gleichzeitig schien die Temperatur um mehrere Grad zu sinken.

Etliche der Anwesenden machten aus ihren Gefühlen in Bezug auf uns keinen Hehl: Wir waren Eindringlinge und wurden auch so behandelt. Es gibt diese abschätzigen und misstrauischen Blicke, die zu sagen scheinen: „Sieh dich vor, Fremder, du bist hier allenfalls geduldet, keinesfalls aber bist du gelitten. Das Beste wäre, du wagtest gar nicht erst, dich hier häuslich niederzulassen und göngest gleich wieder.“ Solche Blicke hagelte es, und zwar knüppeldick. Einige andere tuschelten merklich über uns. Vermutlich diskutierten sie die Frage, was zwei Tunichtgute wie wir um diese Zeit hier verloren hätten. Beim Verlassen des Etablissements überzeugte ich mich an der Tür, ob ich etwa ein Schild mit der Aufschrift „Männer verboten“ oder einem entsprechenden Piktogramm übersehen hatte.

Etwa eine Woche später – ich hatte ein paar Tage Resturlaub abzubummeln – bat mein Vater mich, ihm bei einem Computerproblem zu helfen. Keine Sache, meinte ich, ich hätte Zeit und käme eben vorbei. Das Wetter war schon sehr angenehm und ich hatte große Lust mich mal wieder aufs Fahrrad zu schwingen. Meine Verursacher wohnen in einem Neubaugebiet mit hoher Familien- und Kinderdichte. Daher gibt es auch mehrere großzügig angelegte Spielplätze. An einem kam ich vorbei und stutze: Alle Sitzplätze, bestimmt zwanzig an der Zahl, waren voll mit Müttern, die, wenn sie nicht fröhlich miteinander ratschten, ihr komplettes Tupperware-Sortiment im Anschlag hatten und ebenso eifrig wie lautstark dafür sorgten, dass die Kleinen weder dehydrierten („Lukas-Leon, du musst jetzt was trinken!“) noch Gevatter Skorbut anheim fielen („Maximiliane, jetzt komm her und iss dein Äpfelchen!“).

Normalerweise hasse ich es wie die Pest, wenn Leute penetrant herumkaspern, wie viel besser früher doch alles gewesen sei. Ich meine mich aber zu erinnern, dass meine Freunde und ich es ab dem Kindergartenalter reichlich lästig fanden, wenn unsere Mütter uns beim Spielen auf Schritt und Tritt überwacht hätten. Spielen war Kindersache und wir wollten unsere Ruhe dabei. Kulturpessimismus hin oder her, ich ertappte mich dabei, Mitleid mit den Kleinen zu haben.

Das Problem mit Vaterns Rechner ward schnell behoben und als ich mich auf den Heimweg machte, ließ vermutlich frühlingsbedingter Übermut mich einen folgenschweren Fehler machen: Ich beschloss, die Abkürzung über den Spielplatz zu nehmen. Kennen Sie das Gefühl, wenn schlagartig alle Gespräche verstummen, wenn jemand einen Raum betritt? Oder diese Szene aus Todd Fields Film Little Children? Ich bin weder stehen geblieben noch habe ich irgendwie blöd geglotzt. Ich habe nur von meinem Recht Gebrauch gemacht, meinen braven Drahtesel über ein öffentliches Gelände zu schieben, weiter nichts. Trotzdem kam ich mir vor, als wäre ich mitten im Hochamt splitternackt in den Kölner Dom marschiert. Ich lernte: Männer auf Spielplätzen sind im Zweifelsfall potenzielle Kinderschänder, mindestens jedoch Fremdkörper. Ich machte, dass ich wegkam. Aus dem Augenwinkel meinte ich nämlich gesehen zu haben, dass ein paar der Ladys schon die Handys gezückt hatten.

Zurück im Dienst erzählte ich dem erwähnten Kollegen davon. Dem hatte ein langer und zäher Scheidungskrieg jede Illusion und jede Romantik ausgetrieben. Der meinte, klar seien wir, beziehungsweise ich Eindringlinge gewesen. Zwar gäbe es viele Mütter, vor allem allein erziehende und gering verdienende, die wirklich schwer zu kämpfen hätten. Viele besser gestellte Mittelschichtlerinnen aber genössen so ein idyllisches Leben ohne Erwerbsarbeit durchaus. Nur passe das eben so gar nicht zur gern ventilierten Selbstdarstellung von der ach so belastenden und schlecht beleumundeten Familienarbeit. In der Tat, die Frauen im Bistro und auf dem Spielplatz schienen durchaus ihren Spaß zu haben und wirkten keineswegs deprimiert und gefrustet. Und genau dabei hatte ich sie erwischt. Gott der Dicke möge meiner Seele gnädig sein.


4 Kommentare :

  1. Nun als fifty/fifty Patchworker, habe ich es genossen, meinen Filius natürlich im Kinderwagen Gassi zu schieben. Die Reaktionen der Damenwelt, war vielseitig, - aber immer von unglaublichen Klischees behaftet. Dass ging vom "was ich denn für ein Mann wäre", - über den ultralinken Alternativen, der neue Gesellschaftsformen anstrebt, bis zum "Oooch, ich wollte mein Mann würde das auch mal machen". Irgendwie .... Mit der Mutter meines Sohnes, hab ich, trotz Trennung noch jahrelang im gleichen Haus zusammen gewohnt. (Wir achten heute noch darauf, dass entfernungsmäßig, nix an den unmittelbar erreichbaren zwei Kinderzimmern rüttelt.) Wir grinsen uns aber heute auch immer noch einen ab, dass beide eigentlich deshalb die meisten Schwierigkeiten hatten. Wer fängt schon was mit jemandem an, dessen oder deren Ex in der gleichen Hütte zusammen hausen? Die auch noch ein Kind zusammen haben. Das mit den Klischees, hängt einfach drinnen, wie Teer auf'm Brötchen. Ich kann dein Empfinden schwer nachvollziehen. Ist aber, meines Erachtens nach, unabhängig von Frau/Mann. Letzte Woche, hat mir übrigens ein neuer Kinderwagenschieber, die gleichen Probleme erzählt, die ich vor 15 Jahren hatte. Merkwürdig, merkwürdig.

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  2. Als ehemaliger Patchworker kann ich bestätigen, dass die Reaktionen in der Tat unterschiedlich ausfallen können. Ich habe diese beiden Episoden wirklich kurz nacheinander erlebt und erinnere daran, da jeweils eben ohne Begleitung von Kindern aufgekreuzt. Ich habe lediglich vom Recht des Autors zur Zuspitzung Gebraucht gemacht und zur einen oder anderen Hyperbole gegriffen...

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  3. Vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber nachvollziehbar! Wobei es natürlich auch auf die Gegend und die dortige Mentalität ankommt. In Berlin ist z.B. jeder Bezirk völlig anders zusammengesetzt: der eine ist eher von Alternativen, Patchworker etc. bevölkert, der andere von Ultrakonservativen. Insofern sind auch die Reaktionen anders.

    Versucht mal als Mann in einer Frauenrunde, etwas über das Thema Erziehung zu erzählen. Man wird wenig ernst genommen, belächelt oder es wird hintenrum getratscht. Männer haben sich nicht mit diesem Thema zu beschäftigen, es ist Frauensache. Unglaublich dreist, sexistisch und machtgeil, wenn die Männer den Frauen auch noch dieses Feld klauen wollen! Die sollen sich lieber -ganz nach Klischee- mit Fussball, Alkohol, Actionfilmen usw. beschäftigen.

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  4. "Die sollen sich lieber -ganz nach Klischee- mit Fussball, Alkohol, Actionfilmen usw. beschäftigen."

    Möglicherweise ist man mehr ein Eindringling in eine Beschäftigungs-/Gruppendomäne bzw. eine Welt der Üblichkeiten, die sich jeweils am Geschlecht orientiert. Zumindest solange, solches sich dort nicht ändern (und die ersten werden es am heftigsten spüren und doch würde es sich verlieren).

    Wäre eine durchmischte Klientel an den verschiedenen, hier angesprochen Stellen und Beschäftigungsrythmen üblich, dann wäre man kein Eindringling, sondern üblich. Denn auffallen, das zu spüren und sich folglich als Eindringling und/oder beobachtetes Einzelexemplar zu werten, wird man voraussichtlich immer dort, wo man ansonsten nicht verkehrt und eben exakt deswegen auffällt, wie eine lila Kuh im Schachklub.

    Ist ja nicht so, als würde es einer Frau im Vereinshaus oder sonstigen, bevorzugt von Männern frequentierten Plätzen völlig anders ergehen. Für mich - in einer oberflächlichen Betrachtung - reagieren Männer darauf eher klarer, deutlicher. Statt sich lange mit Tuscheln und missbilligenden oder misstrauischen Blicken aufzuhalten, tut es möglicherweise auch ein unmissverständlicher Spruch, ähnlich wie: "Was willst Du hier ... das ist nichts für Frauen" und geben damit m.E. recht unmissverständlich zu verstehen, dass man unter seinen Geschlechtsgenossen zu sein wünscht. Natürlich kann es u.U. auch mal begrüßt werden ... doch das ist m.E. mehr situationsbedingt.

    Und - für beide Geschlechter - weiß ich nicht so genau, was mich exakt daran stören soll. Warum sollte es denn solche "Rückzugsorte", gerade wenn es sich um regelmäßige, fast schon ritualisierte handelt (irrelevant ob speziell deklariert oder Gewohnheit), nicht geben?

    Hhhm ... bin seit ewigen Zeiten mit der "anderen Spezies" friedlich verbunden und wüsste nicht, warum ich das ändern sollte. Vll. liegt es jedoch auch daran, dass man sich die gegenseitige Toleranz/Respekt/Akzeptanz entgegenbringt, nicht ständig gegenseitig in der Präsenz an gleichen Orten und Handlungen zu konkurrieren, nur um zu demonstrieren: "Ich will und darf ebenso dort sein und gleiches tun, weil das so zu sein hat". Man wird wohl - hin und wieder - auch einfach mal nur fehl am Platze sein (ob man das vorher wissen kann, oder halt nicht)...

    Sollte man das überbewerten? M.E. nicht, mich wundert eher, dass man sich wundert. Aber ich bin ja auch eine Weibliche, was weiß ich über was sich die Männerwelt so wundert ;). Wenngleich der Text auch recht anschaulich und somit unterhaltend geschrieben wurde, auf dass man sich sowohl die Situation, als auch das Empfinden gut vorstellen konnte .. ;-).

    Äh ja .. und ich bin dann auch mal wieder raus hier ... aus dem Thema *grins*


    Gruss
    rosi

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