Samstag, 7. Juni 2014

Ausblenden ist alles


Mit dem Fußball ist es wie mit allen schönen Dingen, die irgendwann von Geschäftemachern zum Produkt geadelt werden, das es möglichst gewinnbringend zu verkaufen gilt. Es wird größer, härter, bunter, marktschreierischer und es zieht Korrupte an wie das Licht die Motten. Die FIFA war bis in die Achtziger eine größtenteils namenlose Ansammlung älterer Herren, die vielleicht käuflich waren, aber wenigstens nicht weiter störten. Man veranstaltete alle vier Jahre eine WM, schraubte gelegentlich ein wenig am Regelwerk herum und der Präsident saß beim Eröffnungs- und Endspiel auf der Ehrentribüne neben dem Staatsoberhaupt, um die Spiele für eröffnet zu erklären. Ansonsten begegnete einem der Verein noch in Sportgeschäften, wenn offizielle FIFA-Bälle feilgeboten wurden.

Wenn heute eine Weltmeisterschaft ausgerichtet wird, dann ist die Krake FIFA überall. Schon die Vergabe erinnert an die der Olympischen Spiele. Das Land, das den Zuschlag dann bekommt, kann sich auf einiges gefasst machen. Gegen die lizenzbefeuerte Regulierungswut der ehrenwerten Gesellschaft um Sepp Blatter ist die EU der reinste Kindergeburtstag. Ohne den kostenpflichtigen Segen des Exekutivkomitees, das das Produkt WM monopolistisch verwertet, darf niemand irgendwo einen fahren lassen. Man erinnere sich an den Aufschrei, der 2006 durchs hiesige Land ging, als es hieß, in den Stadien mit den geänderten Namen dürfe ausschließlich Futter und Plörre der offiziellen Sponsoren angeboten werden, also McDonald's und Anheuser Busch. Die FIFA musste zurückrudern und wenigstens auch Eifelbrause und Bratwurst genehmigen.

Gewiss, auch früher war nicht alles Gold, was glänzte. Skandale und Mauscheleien hat es auch schon gegeben, als es angeblich nur um die Ehre ging und Missgriffe bei der Vergabe der WM haben durchaus eine gewisse Tradition. Seit einiger Zeit häufen sich aber die Ungeschicklichkeiten des Genfer Politbüros erheblich. Die in jeder Hinsicht wahnwitzige, nur mit dicken Schecks zu erklärende Entscheidung, die WM 2022 im Emirat Katar auszurichten oder die Blindheit für die sozialen Verhältnisse in einem Schwellenland wie Brasilien, in dem mitnichten alles Samba und Copacabana ist. Es ist nicht zu hoffen, leider aber sehr wohl denkbar, dass diese WM in die Geschichte eingehen wird als die, bei der die Polizei massenweise Demonstranten zu Brei geknüppelt hat.

Will man eine Zukunft haben, dann wird man bei der FIFA lernen müssen, dass endloses Wachstum nicht funktioniert. Dass es keinen Sinn hat, das Turnier immer weiter aufzublasen, sodass es für immer weniger Länder zu stemmen ist. Und, dass auch das mächtigste Imperium irgendwann einmal seinen Zenit überschritten hat. Michel Platini, Blatters Gegenpart von der UEFA, scheint das erkannt zu haben und hat Konsequenzen gezogen. Die Europameisterschaft 2016 in Frankreich wird die letzte nach altem Muster sein. Ab dann wird zeitlich und räumlich entzerrt, die Spiele auf drei Monate und den gesamten Kontinent verteilt. Wer weiß, vielleicht wird auch diese WM eine der letzten nach altem Modus werden. Besser wäre es.

Dabei möchte ich ja gern. Ich habe kein Problem mit einem gepflegten Fußballpatriotismus, so lange das mit angemessenem Sportsgeist passiert. Im Gegenteil: Gelingt es mir, die fragwürdigen Umstände dieser Veranstaltung auszublenden, die mir, wie gesagt, durchaus Bauchzwicken bereiten, dann kann ich sehr pubertär werden. Ich wäre entzückt, wenn Neuer wieder so drauf wäre wie damals mit Schalke gegen Manchester. Wenn Boateng, Mertesacker und Hummels mit intelligentem Stellungsspiel die gegnerischen Stürmer reihenweise zur Verzweiflung brächten, wenn Özil, Müller und Götze Abwehrreihen in Serie schwindlig spielen und wenn Gewaltschlappen wie Kroos und Podolski (zu dumm, dass Reus ausfällt) den Torhütern Brandspuren auf die Handschuhe brettern würden.

Es hilft nichts, wer die Fußball-WM genießen will, muss ausblenden können. Nicht nur die Machenschaften der Offiziellen und das drückende Elend im Gastgeberland, sondern auch so einiges andere: Das absurde Wortgeklingel der Reporter und die immer lachhafteren Fanartikel für die Generation Scheißrotgold. Die Public Viewer, SIEG!-Brüller, Schlaaand!-Gröhler, die unverkrampften Patrioten, Fähnchenschwenker, Autoverschandler, Gesichtsbeschmierer, Fanartikelkäufer und Teilzeit-Fußballfans, die alle nichts verstanden haben.

Denn die Faszination, das Glück des Fußballs liegt nicht im bloßen Gewinnen, sondern in dem, was der nordirische Mittelfeldspieler, Trainer und Sportjournalist Danny Blanchflower einst kaum übertroffen sagte: "Der große Trugschluss ist, dass es bei diesem Spiel ums Gewinnen geht. Darum geht es nicht. Es geht um Ruhm, und es geht darum, Dinge mit Stil und mit Schwung zu erledigen, darum, raus zu gehen und die anderen zu schlagen und nicht darauf zu warten, dass sie vor Langeweile sterben." Das gilt es zu feiern, alles andere ist bloß dumpfes, nationalistisches Auftrumpfen.


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