Dienstag, 24. November 2015

Im Premiumbereich


Das Etikett premium kriegt normalerweise aufgeklebt, was, aus welchen Gründen auch immer, teurer verkauft werden soll als nötig. Verbreitet ist das im Brauereiwesen. Im Zweifel bedeutet das bloß, mehr zahlen zu müssen für edlere, von Werbefuzzis gern als 'wertig' bezeichnete Aufmachung und weniger Geschmack. Wegen Massentauglichkeit und weil die ganzen teuren Werbekampagnen schließlich bezahlt werden wollen. Außerdem hat man meist Stanniolfetzen im Mund, wenn man aus der Flasche trinkt. Wegen premium.

Ganz finster wird’s, wenn gar 'premium verum' draufsteht. Vermutlich weil da jemand mal ein kleines Latinum hatte. Das so bezeichnete Erzeugnis pflegt in Fachkreisen als leicht alkoholisches, kohlensäurehaltiges Erfrischungsgetränk mit dezentem Bieraroma zu kursieren. Überflüssig zu sagen, dass die, die wahre Qualität herstellen, so einen Zinnober in der Regel nicht nötig haben. Die schweigsamen Trappistenmönche etwa, die teils seit Jahrhunderten still, stoisch und unaufgeregt Biere brauen, die zu den komplexesten und besten der Welt gehören, wüssten vermutlich gar nicht, wovon die Rede ist, schlüge man ihnen vor, ihre Ware einem Relaunch zu unterziehen und sie fürderhin als premium zu verhökern.

Aber nicht nur das Brauergewerbe wirft mit dem nichtssagenden Attribut um sich wie nicht gescheit. Auch woanders ist man von Premium-Angeboten umgeben bzw. von sinnverwandten 'VIP-Angeboten'. Die suggerieren einem: He du! Ja, genau du! Du bist nicht irgendwer, du bist was Besonderes. Deswegen haben wir dieses ganz spezielle Angebot, extra für dich und deinesgleichen. Marketingexperten, ich schrub’s schon letztens, bedienen sich damit gezielt der Eitelkeit der Generation 'Weil ich es mir wert bin', um bei selbiger so richtig abzukassieren. Wer's nicht glaubt muss nur einmal erduldet haben, von erwachsenen Menschen stundenlang vorgeschwärmt zu bekommen, wie sie am Wochenende im VIP-Bereich irgendeiner angesagten Club-Disco-sonstwas-Ballerburg gewesen und wie stolz sie darauf seien.

Auch im Online-Journalismus herrscht längst die Mehrklassengesellschaft. Vielerorts gibt es inzwischen eine Art Basisversorgung für jene Laumichel, die immer noch zu kniepig sind, für QualitätsjournalismusTM im Netz zu zahlen, und es gibt so genannte Bezahlmodelle. Bei der ZEIT heißt das kostenpflichtige Angebot 'Premium-Bereich'. Gibt es schon länger so, war mir aber noch nie so wirklich aufgefallen, weil die ZEIT eigentlich ein recht großzügiges Gratisangebot hat.

Bei Haral [sic!] Martensteins aktueller Kolumne handelt es sich einmal mehr um als Feuilleton getarntes und hinter der kulleräugigen Maske des "Ich mein doch nur" vorgebrachtes Ressentiment. Irgendwas darüber, wie deutsche Journalisten dem Volk ihre Meinung aufzunötigen trachten und wie sie sich erdreisteten, einen eigenen Standpunkt zu vertreten, anstatt dem politikverdrossenen Stammtisch nach dem Munde zu schreiben. Grob gesagt. Soll kein ausführlicher Verriss werden dieses Mal, ein jeder mache sich selbst ein Bild. Es geht nämlich um etwas anderes.

Unter dem Martensteinischen Erguss befindet sich der Hinweis: "Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio". Also wer zahlt, kann sich das auch noch anhören. Glaubt da wirklich jemand, vom Vorgelesenwerden wandele sich das gratis zu lesende Geschreibsel in ein derart wertiges Produkt, dass man Geld dafür verlangen könnte? Gut, für Senioren, die's nicht mehr so haben mit dem Lesen, ist das sicher eine praktische Sache. Aber wäre das dann nicht auch Altersdiskriminierung? Gibt es vielleicht eine Art Seniorenpass?

Interessantes Geschäftsmodell jedenfalls. Sollte ich vielleicht auch überlegen. Wie wäre es, wenn ich meine Elaborate demnächst von der Eurhythmie-Klasse der nächsten Waldorfschule tanzen ließe, das auf Video aufnähme und die Videos hinter eine Bezahlschranke stellen würde? Die Schüler bzw. die Schule würde natürlich an den Einnahmen beteiligt. Würde es natürlich niemals premium nennen. Als ob ich so was nötig hätte.


3 Kommentare :

  1. Sehen würde ich so einen eurhythmierten Roseschen Aufsatz ja schon gern … vielleicht wird’s einem davon ja schwummerig genug, dass man sich das üblicherweise als Premiumbier Industriedünnbier sparen kann.

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  2. … als Premium angepriesene Industriedünnbier, latürnich …

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