Mittwoch, 23. Dezember 2015

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft - Weihnachtssondernummer


Fall 1: Der von Oma geerbte E-Herd gibt nach sehr langer Nutzungsdauer seinen Geist auf. Reparatur lohnt nicht, erst recht nicht bei der Energieaufnahme des Teils. Es hilft nichts, ein neuer muss her, und zwar fix, denn die Antiquität ist komplett hinüber und tut keinen Mucks mehr. Mal das Deutsche Museum fragen, vielleicht hätten die noch Verwendung. Ein Neugerät sitzt finanziell drin und ich beschließe, Hobbykoch, der ich bin, mir ein ordentliches Arbeitsgerät zu gönnen. Zunächst suche ich einen lokalen Händler weißer Ware auf, einen Einzelunternehmer. Im Ladenlokal sitzt eine junge Auszubildende. Die kann mir weder zu Geräten noch zu Preisen irgendeine Auskunft geben, immer mit der Begründung, der Chef sei nicht da. Aha. Auf die Frage, wann der denn wieder da sei, bekomme ich zur Antwort, heute nicht. Aha. Ein Laden, der ohne den Chef offenbar komplett handlungsunfähig ist. Interessantes Geschäftsmodell!

Danach suche ich die Filiale eines großen Kaufhauses auf, deren Schließung inzwischen feststeht. Geben wir dem Laden halt eine Chance, denke ich. Tatsächlich ist ein Gerät im Angebot, das mir auch preislich zusagt. Als der Verkäufer meint, die Lieferung werde zwei Wochen in Anspruch nehmen, muss ich ihn ziemlich doof angeschaut haben, denn er meint, das sei die Reaktion der meisten Kunden, aber er könne da leider nichts machen, die Ware werde grundsätzlich aus dem Zentrallager geliefert. Aha, meine ich, wo denn dieses Zentrallager läge? In New York? Nein, in Essen, kichere er. Mit der Bemerkung, dass ich vom Kauf leider absehen müsste, da mein Uralt-Herd defekt sei, ich möglichst schnell Ersatz benötigte und ich nicht geneigt sei, zwei Wochen, die ich übrigens im 21. Jahrhundert eine recht lange Lieferfrist fände für einen Artikel, der im Sortiment und auf Lager sei, mit einem Petroleumkocher zu hantieren, verlasse ich auch diesen Laden wieder. Wenigstens war man hier ehrlich zu mir.

Daraufhin finde ich mich bei einem Medienverramscher ein, der auch Küchengeräte führt. Sie wollen es ja nicht anders. Es findet sich ein mehr als geeignetes Gerät, auf das ich sogar noch einen kleinen Rabatt bekomme. Ich schildere meine Situation, dass ich ohne funktionstüchtigen Herd dastünde, ein langes Wochenende bevorstünde und ob die Lieferung daher am nächsten Tag erfolgen könne. Das sichert man mir hoch und heilig zu. Und, was passiert Tags darauf nicht? Richtig: Die Lieferung. Als ich gegen Abend dort anrufe und eine ziemliche Welle mache von wegen, was das zu bedeuten habe, bekomme ich zur Antwort, der Auftrag sei ordnungsgemäß an den Subunternehmer, der die Lieferungen erledige, herausgegangen und der Fall damit erledigt. Man bitte um Verständnis, Menschen machten eben Fehler.

Fall 2: Eine Hose ist nach gerade einmal drei Wochen bereits kaputt, an der Seite ist eine Naht aufgegangen. Kein Problem, es gibt ja Gewährleistung. Die Dame im Laden meint, man könne die Hose gern zum Schneider bringen, das sei kein Problem. Aha, man tauscht also nicht mehr ohne weiteres aus, sondern repariert. Gut, ist legitim. Wenn sich in diesem Einkaufszentrum ein Schneider befindet, der das fix erledigt, soll's mir recht sein. Ist außerdem besser für die Umwelt, direkt sympathisch. Wegwerfgesellschaft und so. Auf meine Frage, wann das fertig sei, bekomme ich zur Antwort, allerspätestens morgen Nachmittag. Ich hinterlasse meine Telefonnummer. Zwei Tage später noch nichts gehört. Am dritten Tag dann der Anruf. Als ich die Hose abhole, meinte ich augenzwinkernd, es sei ja schön, dass das geklappt habe, aber am nächsten Tag ginge für mich anders. Die Verkäuferin meint, das täte ihr leid, aber es sei Räumungsverkauf, da könne das schon einmal passieren. Es seien halt alle nur Menschen, und die machten eben Fehler. Jaja, schon recht. Und Räumungsverkäufe werden bekanntlich immer spontan angesetzt.

Fall 3: Bei einem einschlägigen Versender, der nicht mit 'a' anfängt, etwas bestellt. Erst nicht lieferbar, nach zwei Wochen dann die Mitteilung, der Artikel sei versandt worden. Noch zwei Wochen später ist die Ware aber immer noch nicht da. Mail an den Händler. Antwort: Das könne leider schon mal vorkommen, es sei schließlich vor Weihnachten, da ginge es bei der Post eben drunter und drüber. Wieder Mail: Das sei jetzt aber schon ziemlich ärgerlich, denn es sollte ein Geschenk werden, weswegen ich schließlich knapp fünf Wochen vor dem Fest bestellt hätte. Antwort: Das sei natürlich unangenehm, man könne mich da leider nur um Verständnis bitten. Sollte ich die Ware bis zum 28. Dezember nicht erhalten haben, werde man selbstverständlich eine Nachlieferung veranlassen. Es seien halt alle nur Menschen, und die machten eben Fehler, da müsse man Verständnis haben. Ich liebe es, ausgedruckte E-Mails zu verschenken! Und Verständnis habe ich tonnenweise. Ist ja bald Weihnachten.

Nein, habe ich langsam nicht mehr. Natürlich klappt immer noch eine ganze Menge und die meisten Zusagen werden auch eingehalten, aber ich kann mich des Eindrucks nicht völlig erwehren, dass solche Fälle sich häufen in letzter Zeit. Ich könnte die Liste nämlich noch um etliche ganz ähnliche Anekdötchen verlängern, aber ich will nicht langweilen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Für die meist mies bezahlten Verkäufer, die prekär beschäftigten oder als Scheinselbstständige ausgebeuteten Lieferameisen habe ich natürlich ehr wohl Verständnis. Die können im Zweifel nichts dafür, sondern müssen das exekutieren, nein, ausbaden, was andere, die zu deutlich besseren Konditionen schaffen, sich so auskaspern und kriegen dafür auch noch den Frust der Kunden ab, die sie andauernd gezwungen sind, für die Folgen um Verständnis zu bitten. Weil wir doch alle schließlich Menschen sind.

Ich will auch bestimmt nicht herumjammern wegen ein paar vergleichsweise lächerlicher First World Problems. Mir ist klar, dass es eine Menge Gegenden auf der Welt gibt, deren Bewohner mit Kusshand tauschen würden mit uns ob des hiesigen Warenangebotes. Es ist eben nur so, dass auch von mir andauernd erwartet wird, mich gefälligst an Absprachen und Termine zu halten, wenn ich keine Schwierigkeiten bekommen will. Und dass ich das Gefühl hasse, verarscht zu werden. Das Problem liegt nämlich woanders.

Es wird an allen Ecken outgesourct, eingespart, privatisiert, zusammengekürzt, es werden Personaldecken ausgedünnt, vulgo: Leute gefeuert, es wird kostenfrei geliefert, den Kunden aber wird ein heiles Serviceparadies vorgespielt, es werden Zusagen gemacht, wohl wissend, dass die mit diesen Strukturen nicht immer einzuhalten sind. Und wenn's dann nicht so läuft, dann werden die Hände in Unschuld gewaschen, die Schuld nach Möglichkeit auf andere abgewälzt - böser Subunternehmer, böser! Ist das nicht möglich, dann kann man ja immer noch darauf verweisen, dass Menschen eben Fehler machten. Jetzt seien Sie doch nicht so streng! Machen wir nicht alle mal Fehler? Ja, machen wir. Natürlich auch ich. Nicht zu knapp. Ich werde aber sauer, wenn ich langsam das Gefühl habe, Fehler machen und die kuhäugige Bitte um Verständnis werde bei immer mehr Händlern zum festen Bestandteil des Marketingkonzepts.

Liebe Einzelhändler, liebe Post, liebe Paketdienste: Wiewohl ich gewiss nicht in der Liga von Dagobert Duck spiele, ist es mir drecksegal, ob ich für einen Herd, der mehrere hundert Euro kostet, nun 10 oder 20 Euro Aufpreis für die Lieferung hinblättere, wenn dafür geliefert wird wie verabredet. Meine Welt ginge nicht unter, wenn die Lieferungen des Online-Händlers nicht ab 20, sondern, sagen wir, erst ab 30 Euro versandkostenfrei wären. Natürlich wäre es kein Problem, wenn die nette Lady vom Jeansladen mir von vornherein gesagt hätte, dass es bis zu drei Tagen dauern könnte, bis die Hose repariert ist. Ich hätte mich gefreut, wenn die Hose bereits nach zwei Tagen wieder da gewesen wäre und hätte den Laden mit dem Gefühl verlassen, fair und reell behandelt worden zu sein. Erst recht meckerte ich nicht über eine Portoerhöhung um ein paar Cent, wenn im Gegenzug alles glatt geht. Und ihr eure Mitarbeiter regulär zu ordentlichen Bedingungen beschäftigt. Und sie anständig bezahlt. Und ihnen 30 Tage Urlaub gebt. Das gibt auch mir als Kunde ein besseres Gefühl.

Außerdem möchte ich ja weiterhin gern beim lokalen Einzelhändler vor Ort einkaufen. Nicht, weil ich Angst vor Innenstädten ohne Ladengeschäfte habe, sondern weil ich dort mit echten Menschen zu tun habe. Die zudem einer anständigen Arbeit nachgehen, anstatt wie Roboter pausenlos, totalüberwacht und ferngesteuert zwischen Regalen hin- und herflitzen zu müssen, bloß weil echte Roboter dafür noch zu teuer sind. Und die eventuelle Probleme vor Ort lösen können und ich nicht andauernd zu Post muss. Ich kaufe einige meiner Lebensmittel im Bioladen, habe also kein prinzipielles Problem, etwas mehr Geld auszugeben.

Natürlich hat in Deutschland der verbiesterte Schnäppchenjäger längst die Lufthoheit übernommen. Schlimmstenfalls in Form jener Arschgranaten, die sich im Fachgeschäft beraten lassen und dann online kaufen. Aber haben nicht gerade die Ketten sich exakt diesen Typus Raffzahn selbst herangezüchtet, ganz ohne Online-Handel? Und damit die meisten kleinen Fachhändler wegkonkurriert? Mir ist selbstverständlich auch bewusst, dass die Binnennachfrage stagniert, die Konkurrenz der Online-Versender, besonders die eines bestimmten, drückend ist, weil der qua Auftragsvolumen ganz andere Konditionen bei den Frachtkosten realisieren kann. Das alles ist ärgerlich, keine Frage

Aber haltet ihr es wirklich für so klug, dem zu begegnen, indem ihr euren Kunden, statt ihnen reinen Wein einzuschenken und zu überlegen, was ihr ihnen sonst bieten könntet, das Blaue vom Himmel versprecht?

Ach so, noch was: Wenn ihr, Händler, jenes Fünfegeradeseinlassen, das ihr von den Kunden verlangt, eurerseits auch in Gehaltsverhandlungen mit euren Mitarbeitern an den Tag legtet oder in Preisverhandlungen mit euren Lieferanten, dann will ich natürlich nichts gesagt haben.


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