Mittwoch, 21. Juni 2017

Neues vom Kapitalismus


David Graeber ('Schulden') äußerte kürzlich in einem Interview den interessanten Gedanken, der neoliberale, sich andauernd selbst überholende Turbokapitalismus habe die letzten Jahrzehnte unter anderem deswegen so gut funktioniert, weil man den Leuten erfolgreich weisgemacht habe: Sicher, Kapitalismus ist vielleicht nicht das Optimum und manchmal sicher echt unangenehm, aber die die reich sind und das Sagen haben, sind immerhin intelligente Leute, die wissen, was sie tun. Während der so genannten Finanzkrise hätten die Leute dann plötzlich gemerkt: Hoppla, die Reichen und Mächtigen da oben sind mitnichten fitter oder vifer als der doofe Rest, im Gegenteil, sie sind mehrheitlich so geistig limitiert wie alle anderen, dazu aber habgierig und hecheln im Zweifel auch bloß irgendwelchen Trends hinterher. Dass das so vielen Menschen auf der Welt auf einmal dämmerte, darin lag für Graeber die eigentlich existenzbedrohende Krise des Systems.

Machen wir uns nichts vor. Herrschaftssysteme funktionierten auch vor dem Kapitalismus, indem genügend Menschen willig sind, Autoritäten zu vertrauen. So hatte ich als Kind immer gedacht (und wir bekommen das ja beizeiten eingepflanzt), dass Lehrer alles hochintelligente Menschen seien, die irre viel wissen, ihr Leben der Bildung weihen und die Welt erklären könnten. Wie groß mein Schock knapp vor der Pubertät, als ich auf einer der ersten Feiern, bei denen ich länger bleiben durfte, eine angehende Gymnasiallehrerin erlebte und sie, höflich ausgedrückt, eher mäßig intelligent fand, ja sogar ziemlich oberflächlich.

Trotzdem, solche Prägungen wirken nach. So denke ich noch heute manchmal: Hm, wenn Leute aberwitzige Summen in etwas investieren und selber Millionen scheffeln mit solchen Geschäften, dann müssen die doch halbwegs was auf der Pfanne haben, sonst würden die das doch nicht tun, oder? Sonst würde man die doch nicht mit solchen Summen hantieren lassen. Was für ein Irrtum das ist, das führten jetzt wieder jene Investoren vor, die dem Startup 'Juicero' einen dreistelligen Millionenbetrag reingeschoben und sich damit als deutlich dümmer erwiesen haben als jedes durchschnittlich pfiffige Grundschulkind.

Der Laden hatte die geniale Geschäftsidee, Saftpressen für Büros zu verkaufen. Natürlich  nicht irgendwelche schnöden Entsafter, neiiin! Es ging um den Superentsafter 4.0, den Killerkelter, der das Konzept des frischgepressten Saftes wieder einmal völlig neu erfinden sollte. Drunter machen's diese Silicon Valley-Angebernerds ja nicht. Für 400 Dollar konnte man ein kühlschrankgroßes Gerät namens Juicero erwerben, mit dem sich dann spezielle, im Abo zu beziehende Vakuumbeutel mit Bioobst zu Saft pressen lassen. So ein Saftabonnement geht bei 30 Dollar los, wofür man fünf Gläser Übersaft pro Woche bekäme. Also fünf Dollar pro Glas. Aber nicht nur das, nein:

"Die Safttüte wird vor dem Pressvorgang über einen Scanner eingescannt, die Maschine ist mit dem Smartphone des Nutzers verbunden und sammelt allerlei wichtige Daten zum täglichen Saftkonsum." (golem.de)

Nun ja, wir leben halt in Zeiten, in denen gewisse Leute es schon für eine Katastrophe halten, wenn beim Arschabwischen mal keine Daten gesammelt werden. Nur hat man jetzt witzigerweise herausgefunden, dass sich die teuren Beutel auch manuell, also ganz ohne Hilfe der Superquetsche auspressen lassen, was annähernd die gleiche Menge ergibt. Da begannen die Investoren, hieß es, dann doch am Sinn des Ganzen zu zweifeln. Ja Potzdonner, als nächstes finden diese Schnellschnaller dann wahrscheinlich noch heraus, dass man mindestens genau so guten frischgepressten Saft in jeder größeren Stadt inzwischen an jeder Straßenecke kaufen kann. Für die Hälfte. Ganz ohne Smartphone.

Interessant auch, inwieweit ein weiteres frommes, deswegen umso eifriger verbreitetes Märchen des Kapitalismus, eben bloß ein Märchen ist. Es heißt immer, wer über ein Gut verfügt, das stark nachgefragt wird, diese Nachfrage aber nur zu Teilen bedienen kann, habe quasi das große Los gezogen. Die Chance für Genosse Nobody, Millionär zu werden. Weil er die Preise quasi diktieren kann. Angebot und Nachfrage halt. Babyleicht. So leicht, dass es sogar FDP-Wähler kapieren. Daher sollte man eigentlich meinen, dass jenen Menschen in Südamerika, die das Wundergetreide Quinoa anbauen, zur Zeit eigentlich massivst die Sonne aus dem Wertesten scheinen müsste. Das Superfood ist dank Hipstern und Leserinnen von Frauenzeitschriften bzw. der Apothekenumschau und anderen Wundergläubigen stark nachgefragt, das Angebot hingegen ist begrenzt.

Allein, sie tut es nicht, die Sonne, denn:

"Früher wurde die nährstoffreiche Quinoa fast nur in den Anden gegessen, auf 3800 Meter Höhe ist ihr traditionelles Anbaugebiet. Dann machte die reisähnliche, glutenfreie Pflanze weltweit Karriere. Es gibt jetzt Quinoa-Shampoo, Quinoa-Bier und viele weitere Quninoa-Gerichte in den hippen Bio-Cafés der westlichen Großstädte. […] Auch in den USA, Indien und China wird inzwischen Quinoa produziert. […] Gegen die neue globale Konkurrenz kommen Boliviens Bauern nicht an - die erhöhte Produktion hat zu einem drastischen Preisverfall geführt. Statt zeitweise 6000 Dollar je Tonne Quinoa gibt es heute beim Export nur noch rund 2500 Dollar. Wegen des Preisverfalls - und wegen einer Dürrephase - brach die Produktion in Bolivien 2016 nach sechs Jahren Wachstum von 89.000 auf 69.000 Tonnen ein. Bereits rund 200 der gut 2000 Bauern haben nach Angaben des Präsidenten der lokalen Quinoa-Produzenten, Benjamin Martínez, aufgegeben." (Georg Ismar, dpa)


Und das dürfte wohl erst der Anfang sein. Hat sich was mit Angebot und Nachfrage. Zumindest nicht für bolivianische Kleinbauern.



3 Kommentare :

  1. Das mit dem Großen Los gilt nur, wenn ich das stark nachgefragte Gut exklusiv anbieten kann. Wenn jeder Hinz und Kunz das auf Zuruf auch produzieren kann, läuft's wie beim Quinoa. Sind ja trotz allem nicht ganz blöd, die Kapitalisten.

    Wenn ich aber Picasso bin und echte Picassos grad brummen, bin ich naturgemäß der einzige, der die Nachfrage befriedigen kann (und sei es nur zu einem winzigen Teil), und dann kann ich auch die Preise diktieren.

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    1. Das ist sicher richtig, nur wird's einem anders beigebracht. Statt dessen heißt es, mit Fleiß und harter Arbeit könnte es jeder schaffen, und die, die heute reich sind, haben schon als Kinder Limonade verkauft anstatt zu spielen etc.

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    2. Da hast Du natürlich recht. Es reicht vermutlich, der Konkurrenz immer um die entscheidende Nasenlänge voraus zu sein. Also früh die Quinoa-Welle zu reiten und ordentlich abzusahnen. Wenn dann die anderen aufspringen, steigt man elegant aus und zählt Geld, während die Nachmacher den Markt kaputtmachen. Klassisches Heuschreckenprinzip, oder?

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